Mo, 06. Mai 2024
Vorab: 19 Uhr
Star Talk mit Cem Özdemir und Lea Brückner zum Thema »Fahrradanreise«
Düsseldorfer Symphoniker
Marisol Montalvo SOPRAN
Sylvie Rohrer sprecherin
Enikő Ginzery Cimbalom
Chor des Städtischen Musikvereins
Dennis Hansel-Dinar Einstudierung
David Reiland Dirigent
Das Konzert wird vom Deutschlandfunk aufgezeichnet.
Robert Schumann (1810-1856)
Ouvertüre zu Goethes »Hermann und Dorothea« op. 136
ca. 10 Minuten, zuletzt gespielt am 15.03.2010 unter Andrey Boreyko
René Staar (*1951)
»Schwarzer Schnee« für Sprechstimme, Sopran,
Cimbalom, Chor und Orchester op. 22q
ca. 30 Minuten, Uraufführung, Auftragswerk der Tonhalle Düsseldorf
Pause
Enrico Chapela (*1974)
SPINPHONY (GREEN PIECE No. 10)
ca. 5 Minuten, Uraufführung, Auftragswerk der Tonhalle Düsseldorf im Rahmen des Projekts »Green Monday«
Robert Schumann (1810-1856)
Symphonie nr. 4 d-Moll op. 120
1. Ziemlich langsam – Lebhaft
2. Romanze. Ziemlich langsam
3. Scherzo. Lebhaft – Trio
4. Langsam – Lebhaft – Presto
ca. 30 Minuten, zuletzt gespielt am 10.07.2017 unter Alexandre Bloch
Klartext
Kann Komponieren gefährlich sein? Wer sich für den Beruf der Komponistin oder des Komponisten entscheidet, stellt sich in der Regel diese Frage nicht. Das Schicksal von Dmitri Schostakowitsch, der in Erwartung seiner Deportation jahrelang einen gepackten Koffer unter dem Bett hatte, ist zum Glück eine Ausnahme. Die Bildenden Künste und besonders die Literatur indes geraten schnell in Kampfzonen. Zeichen und Worte können Klartext sprechen, Journalistinnen und Journalisten müssen an die Wahrheit. Immer wieder wurden und werden die Mutigsten unter ihnen mundtot gemacht, bedroht, eingesperrt, ermordet. René Staar setzt ihnen ein Denkmal. Er gibt ihnen eine Stimme – mit Sprache und mit Klängen. Die Musik wird niemanden retten. Doch mag sie tief wirken und durch ihre emotionale Kraft tiefer in die Seele dringen als so manche ausgesprochene oder geschriebene Wahrheit. Was auch Robert Schumann wusste, der mit seinen Mitteln Klartext spricht: Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Schön, manchmal schmerzlich, aber nie gefährlich.
Der Steckbrief
Robert Schumann
Ouvertüre zu Goethes »Hermann und Dorothea«
Revolution liegt in der Luft, als Schumann im Dezember 1851 in nur fünf Tagen seine Ouvertüre zu Goethes Versepos »Hermann und Dorothea« niederschreibt. Mindestens siebenmal erklingt darin der Auftakt der »Marseillaise«, wechselweise von Hörnern, Trompeten oder Streichern angestimmt. Die von Goethe in Hexameter gefasste Liebe zwischen dem bürgerlichen Hermann und der »Flüchtlingshelferin« Dorothea spielt 1796 in den Nachwirren der Französischen Revolution in einer rechtsrheinischen deutschen Kleinstadt. Weiter rechtsrheinisch, genauer linkselbisch, hatte Schumann 1848 in Dresden die deutsche Revolution hautnah miterlebt und durch seine »Freiheitsgesänge« (WoO 4) angefeuert. »Mein fruchtbarstes Jahr war es – als ob die äußern Stürme den Menschen mehr in sein Inneres trieben, so fand ich nur darin ein Gegengewicht gegen das von Außen so furchtbar hereinbrechende«, schrieb er am 10. April 1849 an seinen Komponistenfreund Ferdinand Hiller. Am 3. Mai 1849 musste er – wie Dorothea vor den französischen Revolutionstruppen – tatsächlich fliehen. Vor dem Dresdner Maiaufstand rettete sich Schumann durch die Gartentür auf das Rittergut einer befreundeten Familie. Die anhaltende Erfolglosigkeit in Dresden trieben ihn, Clara und die fünf Kinder im September 1850 dann tatsächlich ins Rechtsrheinische: Durch Vermittlung Hillers wird Schumann Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf. Aus dieser »Flucht nach vorn« entsteht 1851 die revolutionshuldigende Ouvertüre zu »Hermann und Dorothea«. Und man möchte gleich mitsingen: »Allons enfants de la Musi-que, Le jour de gloire est arrivé!« … »Aux instruments, musiciens / Formez vos bataillons«. Doch die Formierung der musikalischen Bataillone – Orchester und Chor – auf dem Düsseldorfer Schlachtfeld gestaltet sich zunehmend schwerer für Schumann. Trotz intensiver Schaffensphase will sich der »Tag des Ruhms« nicht einstellen. »Alles regt sich, als wollte die Welt, die gestaltete, rückwärts / Lösen in Chaos und Nacht sich auf und neu sich gestalten«, hätte Robert mit Dorothea (IX, 273) ausrufen können. Stattdessen notiert er nüchtern in sein Haushaltsbuch: »Bedenken wegen des Bleibens in D.«
Die Uraufführung seiner Revolutionsouvertüre erlebt er nicht mehr, sie findet erst 1857, sieben Monate nach seinem Tod, im Leipziger Gewandhaus statt. Und unterstreicht bis heute die freiheitlich-republikanische Gesinnung Schumanns.
René Staar
»Schwarzer Schnee«
Eine im Jahr 2020 ausgearbeitete Textcollage, deren zentraler Kern aus verschiedenen Textfragmenten der türkischen Journalistin und Schriftstellerin Aslı Erdoğan besteht, bildete den Ausgangspunkt meiner Arbeit »Schwarzer Schnee«. Diese eindrucksvollen Texte werden von einer Sprechstimme vorgetragen, die von anderen Texten umrahmt werden. Zwei Gedichtzeilen aus André du Bouchets »Le monteur blanc« bilden das Motto des Werks: Der schwarze Ast am Himmel und der unterdrückte Schrei symbolisieren dabei die Mahnungen, die mit den Berichten über die Unterdrückung des investigativen Journalismus an uns alle gerichtet werden. Dieses Motto wird am Beginn des Werks vom Sopran vorgetragen, während das Orchester aus vier verschiedenen, zunächst einzeln hörbaren Intervallen eine fünfstimmige Harmonik entwickelt.
Es geht in diesem Stück um jene, die den Mut und die Kraft aufbringen, uns über das oft verborgene Unrecht aufzuklären, das tagtäglich in unserer Welt geschieht. Denn die Pressefreiheit wird immer häufiger angegriffen, und Journalisten wird ihre Arbeit nicht nur durch politischen, sondern auch durch gesellschaftlichen Druck erschwert, sie werden immer häufiger bedroht, beschimpft und auch ermordet. Eine Stele auf ermordete Journalisten, die auf eine wiederkehrende, quasi rituelle Beschwörung einzelner Namen errichtet wird, ist eines der zentralen Elemente des Werks.
Die Textteile von Aslı Erdoğan schildern drei Situationen: das Verschwinden einer geliebten Person und die Unsicherheit, ob man diese je wiedersehen wird; dann die Empörung über das Unrecht und die Verpflichtung des Berichterstatters, nach Wahrheit zu suchen, die in den Worten gipfelt: »Ich will nicht schuldig sein an der Ermordung von Menschen und auch nicht an der Ermordung von Worten«; und schließlich Trauer um den Verlust an Lebensfreude und das Gefühl der Leere nach all den Kämpfen um die Wahrheit. Ursprünglich aus der Essaysammlung »Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch« ausgewählt, wurden diese Textfragmente zu einem dichten Gewebe destilliert, das zum Ausgangspunkt eines vielschichtigen, sich auf ein harmonisch intervallbezogenes, stets fünfstimmiges Geflecht beziehenden Konzepts wurde.
Als Einleitung für den ersten dieser drei Sprechteile fungiert ein Männerchor mit einem Text von Cem Özdemir, der sich auf die Verfolgung von Journalisten nach dem letzten Putschversuch in der Türkei bezieht und musikalisch an einen danse macabre erinnert. An wichtigen Stellen des Stücks werden zwei Gedichte eingeflochten, als dramatischer Höhepunkt Giuseppe Ungarettis »Non gridate più« und am Ende Jannis Ritsos »Ebenen von Dauer«, das eine erlösende Sicht von auf das von Menschen herbeigeführte Leid durch das von Glockentönen begleitete Bild der aus Gräbern aufsteigender Geister herbeiführt. Die Gedichte werden vom Sopran gesungen, während der Chor als Kommentar verschiedene Laute von sich gibt oder in eine Art Zwiegespräch mit den Solisten tritt.
Robert Schumann
Symphonie Nr. 4
»Wahrhaftig meine nächste Sinfonie soll Clara heißen«, schreibt Robert Schumann kurz nach seiner Hochzeit am 12. September 1840. Und stürzt sich in einen Arbeitsrausch, der als sein »symphonisches Jahr« in die Musikgeschichte eingehen wird. In sein Haushaltsbuch notiert er: »1841 Juni 2te Symphonie in D Moll ziemlich fertig skizziert bei e. Hitze von 25 Grad – doch noch nicht so fertig wie die 1ste«. Während die »1ste« in nur vier Tagen entworfen ist, feilt er monatelang an der »2ten«, die heute als die Vierte bekannt ist. Am 13. September triumphiert er: »Die d-Moll-Symphonie, die ich im stillen fertig gemacht zu Claras Geburtstag.« In diesem Sinne ist Schumanns Vierte ein wahres Doppelgeschenk, nicht nur an die geliebte Gattin, auch an die geliebte Gattung der Symphonie. Denn er bricht das klassische Symphoniemodell auf, indem er alle vier Sätze ohne Pause zu einem einzigen Fluss, quasi einer Symphonie in einem Satz vereint. Die zwei schnellen Ecksätze, folgen dem vorwärtstreibenden Gestus der Beethoven-Tradition. Die lyrische Romanze und das anschließende Scherzo bringen den zeitvergessenen Romantiker und hochfliegenden Traumtänzer zum Vorschein. Alle Teile treten in enge motivische und melodische Wechselbeziehung. Motive aus der Einleitung klingen im Violinsolo der Romanze und in der Achtelbewegung des Scherzos an. Die treibende Violinfigur des ersten Allegros findet im Durchgang zum Finale ihr entschleunigtes Echo. Der kurze Marsch, den die Trompeten zum Ende des ersten Satzes blasen, steigert sich zum Hauptthema im Finale. »Es ist dies wieder ein Werk aus tiefster Seele geschaffen … aus einem Satze«, würdigt Clara das Geschenk ihres Gatten in ihrem Ehetagebuch. Doch Publikum und Kritik können der Fülle an Querverbindungen, die ihnen ein ebenso hohes Maß an Aufmerksamkeit abverlangen, noch nicht folgen. Die Uraufführung am 4. Dezember 1841 im Leipziger Gewandhaus fällt durch. Elf weitere Jahre feilt Schumann an seinem Opus, bis es seine finale Form findet. Und auch sein Publikum: Die Uraufführung der nunmehr vierten Symphonie am 3. März 1853 wird zu Schumanns größtem – und leider auch letztem – Erfolg in Düsseldorf. Sie gilt bis heute als Schumanns eigenständigster Beitrag zur Symphonik.
Unser Green Piece-Komponist
Enrico Chapela
»Meine Komposition ›Spinphony‹ basiert auf der Erfahrung des Fahrradfahrens, das immer Teil meines Lebens gewesen ist. In meiner Kindheit war es das Fahrzeug, das mich mit den anderen Kindern im Viertel verband, als Jugendlicher fuhr ich mit dem Rad, um Sport zu treiben, lange Strecken in den Bergen oder auf Touren durch die Niederlande. Vor kurzem habe ich meiner Tochter das Radfahren beigebracht, und jetzt pendeln wir zwischen Schule und Zuhause. Die Tempowechsel erfolgen durch metrische Modulationen, die – in Analogie zu den Schaltvorgängen beim Fahrradfahren – nach dem Verhältnis zwischen einem gegebenen Tempo und dem nächsten berechnet sind. Sie bilden den Wechsel zwischen den Fahrweisen bergauf, bergab und in flachem Gelände ab, die langsame, schnelle und anhaltende Tretkadenzen erfordern. In den Percussions-Abschnitten finden sich alle bekannten Fahrradklänge, wie Hupen und Klingeln sowie ein Luftballonzischen, das durch rotierende Luftballons mit internen Spinnern erzeugt wird und das Geräusch von auf der Straße aufschlagenden Gummireifen nachahmt. Der Charakter der Musik steht für den Kontrast zwischen der Anstrengung der Beine bei steilen Steigungen und der aufregenden Spannung bei rasanten Abfahrten – die Freuden und Leiden des Mountainbikens.«
Enrico Chapela