Igor Strawinsky: Concerto in Es „Dumbarton Oaks“

Igor Strawinsky: Concerto in Es „Dumbarton Oaks“

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Marita Ingenhoven
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Marita Ingenhoven

„Dumbarton Oaks“ heißt der Landsitz in der Nähe von Washington D.C., auf dem die amerikanischen Kunstmäzene Mildred und Robert Bliss von 1920 bis 1940 residierten. Es ist ein mehrfach geschichtsträchtiger Ort: Das Ehepaar Bliss gründete auf dem Grundstück eine renommierte Forschungsstelle für byzantinische Kunst und präkolumbische Kulturen, die seit langem zur berühmten Harvard University gehört. 1944 fand hier eine bedeutende Expertenkonferenz über die Entwicklung der Vereinten Nationen statt – und 1937/38 schrieb Igor Strawinsky in Dumbarton Oaks eines seiner meistgespielten Werke: Das Concerto in Es, das den meisten wohl vor allem unter seinem klangvollen Beinamen bekannt ist.

Mildred und Robert Bliss hatten Strawinsky, den sie 1937 in New York kennen gelernt hatten, anlässlich ihres 30. Hochzeitstages um ein neues Werk gebeten und ihn auf Dumbarton Oaks eingeladen. In den prächtigen Gärten fand Strawinsky erste Inspirationen – und natürlich auch den Untertitel für das Werk. Ein anderes, weit tragischeres Ereignis spielte in das Werk hinein: 1937 starb Strawinsky Tochter Ludmilla an Tuberkulose. Während ihres Sterbeprozesses suchte Strawinsky Kraft und Trost in der Musik Johann Sebastian Bachs: „Ich war von Paris nach Annemasse in der Haute Savoie gezogen, um in der Nähe meiner Tochter Mika [Ludmila] zu sein, die todkrank an Tuberkulose war und dort in ein Sanatorium eingewiesen wurde“, resümiert er diese schwere Zeit. „Ich spielte während der Komposition des Konzerts regelmäßig Bach und fühlte mich sehr zu den „Brandenburgischen“ Konzerten hingezogen. Ob das erste Thema meines [ersten] Satzes jedoch eine bewusste Anleihe aus dem dritten Brandenburger ist, weiß ich nicht. Was ich sagen kann, ist, dass Bach es mir mit Sicherheit gerne geliehen hätte; eine solche Anleihe war genau das, was er gerne gemacht hätte.“

Zitate von anderen Komponisten verwendete Strawinsky in seiner neoklassischen Phase häufig. Aber Strawinsky wäre nicht Strawinsky, täte er dies nicht mit einem gehörigen Augenzwinkern und zahlreichen ironischen Brüchen. Auch in „Dumbarton Oaks“ knüpft er an alte Formen an – hier vor allem an das barocke Concerto grosso – und entwickelt sie auf eigene Weise weiter. Und das kam an! „Dumbarton Oaks“ geriet zu einem der erfolgreichsten Stücke seiner neoklassizistischen Phase, was sich in vielen Aufführungen und einem Folgeauftrag niederschlug: Mildred Bliss war so begeistert, dass sie bei ihm gleich eine weitere Komposition erbat, die „Symphonie en Ut“. „Dumbarton Oaks“ war das letzte Werk, das Strawinsky in Europa vollendete. Im September 1939 verließ der für Entwicklung der Moderne so einflussreiche Russe den alten Kontinent und emigrierte endgültig in die Vereinigten Staaten.

Igor Strawinsky: Concerto in Es „Dumbarton Oaks“
1.     Tempo giusto
2.     Allegretto
3.     Con moto

Foto: Das Musikzimmer von Dumbarton Oaks, Copyright: Jack E. Boucher, National Park Service - Library of Congress online collection