Beethoven: Klaviersonate Nr. 31 As-Dur

Beethoven: Klaviersonate Nr. 31 As-Dur

Marita Ingenhoven
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Marita Ingenhoven

»Out of the box«, jenseits gängiger Schemata: Ginge es nach der gängigen Ratgeberliteratur, sollten wir alle die Probleme der Welt heute so angehen. »Innovation«, das Wort, das einst für echte Funde, für kühne Neuerungen reserviert war, ist zum schalen Werbeclaim verkommen. Beethoven indes macht immer wieder damit ernst: Keine der drei letzten Klaviersonaten, die er zwischen 1820 und 1822 zu Papier bringt, folgt im Kleinen oder Großen einem bekannten oder gar konventionellen Aufbau. Obwohl erkennbar als Gruppe entworfen – vertreten sind Kreuz- und B-Vorzeichen, Dur- und Molltonarten – findet jede von ihnen ihren ganz individuellen Umriss, prägt ihren unverwechselbar eigenen Ton aus. In den drei Sonaten öffnet sich eine jeweils sehr spezifische, reich differenzierte Erlebniswelt – eine Konstellation unverwechselbarer Farben, Gesten, Atmosphären, Spannungsverhältnissen – die nur diesem einen Werk anzugehören scheint.

Ist die Sonate in As-Dur op. 110 »die schönste aller Beethoven-Sonaten«, wie Bernard Shaw meinte? Keine andere wirkt jedenfalls so sorgfältig in sich geschlossen, so »rund« sowohl in der Vereinheitlichung des thematisch-motivischen Materials als auch in der die einzelnen Sätze eng verbindenden und präzise auf den Schluss zielenden Dramaturgie. Und erst recht im Hinblick auf die Integration denkbar heterogener Charaktere und historischer Kompositionsarten. Der Kopfsatz beginnt laut Vortragsanweisung »con amabilità«, also »mit Liebenswürdigkeit«, sein sanftes Klangbild verströmt klassizistische Ruhe. Dagegen steckt das bizarre Scherzo (Allegro molto) voller plebejischem Humor. Gleich zwei derbe Volkslieder werden zitiert, »Unser Katz’ hat Katzerl g’habt« und »Ich bin lüderlich, du bist lüderlich«. Das Finale schließlich öffnet sich religiösen und transzendenten Vorstellungswelten. Beethoven verschränkt ein hoch expressives Arioso dolente mit einer Fuge im Stil eines sakralen Chorsatzes. Der vierteilige Komplex beginnt mit einer empfindsamen Opernszene, einem metrisch freien Rezitativ voller Schmerz. Dieses geht in einen »Klagenden Gesang« über, in dem die berühmte Altarie »Es ist vollbracht« aus Bachs Johannes-Passion anklingt. Der erste Einsatz der Fuge wächst, Harmonie und Ordnung versprechend, direkt aus diesem Lamento hervor. Nach dessen Rückkehr – »ermattet, klagend« lautet jetzt die Vortragsanweisung – hebt die Fuge, nun in Umkehrung, ein zweites Mal an. »Nach und nach wieder auflebend« geht sie bald in eine rauschhafte Steigerung über. Die letzten, klangmächtig virtuosen Seiten beschreiben, wie Charles Rosen formuliert hat, nichts anderes als »eine triumphale Rückkehr des Lebens«.

Text: Anselm Cybinski

Ludwig van Beethoven: Klaviersonate Nr. 31 As-Dur op. 110
Länge: ca. 22 Min.