Brahms: Vier ernste Gesänge op. 121

Brahms: Vier ernste Gesänge op. 121

Marita Ingenhoven
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Marita Ingenhoven

In jungen Jahren stand Max Reger unter starkem Einfluss des vierzig Jahre älteren Johannes Brahms; Kritiker warfen ihm gar vor, er »überbrahmse« sein Vorbild. 1905 bearbeitete Reger zahlreiche Brahms-Lieder für Klavier solo; seine Fassung der »Vier ernsten Gesänge« entstand 1912. Brahms‘ schonungslose Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit und Sterben ist eine Reaktion auf den Tod von Angehörigen und engen Freunden in den Jahren zuvor, vor allem aber nimmt sie den Verlust der geliebten Clara Schumann vorweg, die Ende März 1896 einen schweren Schlaganfall erlitten hatte. Auch um seine eigene unheilbare Erkrankung wusste der 63-Jährige, als er den Zyklus im Sommer vollendete. »Es sind ganz gottlose Lieder, aber ihre Texte stehen Gott sei Dank in der Bibel«, hat Brahms über die »Vier ernsten Gesänge« gesagt. Jesus Christus kommt nicht vor in ihnen; sie versagen sich jede Hoffnung auf Erlösung und selige Ewigkeit. Die pessimistischen Betrachtungen des Predigers Salomo und des Buches Sirach sprechen von der Vergeblichkeit eines Daseins, dessen einzige Gewissheit die Freude an der irdischen Arbeit ist. Sie beklagen das Unrecht unter der Sonne und loben diejenigen, die gar nicht erst auf die Welt kommen müssen und denen es erspart bleibt, dieses Unrecht zu sehen. Der Tod ist bitter, ein Skandalon für den aus dem Leben Gerissenen – und eine Wohltat für den Leidenden. Irgendein »Sinn« ist diesem Ende jedoch nicht abzugewinnen. Erst der vierte Gesang über die berühmte Verkündigung »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete« aus dem 1. Korintherbrief des Paulus spendet mit seinem emphatischen Bekenntnis zur Liebe so etwas wie Trost.

Brahms’ Vertonungen wirken archaisch-streng und intim zugleich. Verständlich werden sie auch ohne Text: Ihre quasi lautmalerische Rhetorik lädt dazu ein, jede einzelne musikalische Geste auf den Sinngehalt der Bibelworte zu beziehen. Suggestiv spricht etwa das fatalistische d-Moll-Kreisen im engen Tonraum zu Beginn des ersten Liedes von der Eitelkeit des Erdendaseins; die emporhuschenden Triolen des Allegro-Mittelteils übersetzen das Dahinfahren des Staubs in ein prägnantes Bild. Während die fallenden Terzen von »O Tod, wie bitter bist du«, die Brahms in seiner Vierten Symphonie so konsequent verwendet hatte, noch einmal an die konstruktive Strenge seines expressiven Stils erinnern, gibt die berührende Gegenüberstellung von Moll und Dur den zwei Gesichtern des Todes eine fast altmodische Eindringlichkeit. Einen sehr viel lebhafteren Ton schlägt dann der bereits 1892 entstandene letzte Gesang an, der ursprünglich wohl für die Trauerfeier der Freundin Elisabeth von Herzogenberg bestimmt war. Die schwärmerisch aufsteigende Melodie der beschließenden Hymne an die Liebe ist warm und voll harmonisiert. Wenn ihr wiegender ¾-Takt von sehr diesseitigen Gefühlen zu sprechen scheint, lässt das die herrlichen Es-Dur-Phrasen nur umso schmerzhafter klingen.

Text: Anselm Cybinski

Johannes Brahms (arr. Max Reger): Vier ernste Gesänge op. 121
Länge: ca. 19 Min.