Die Konzerte am 3., 5. und 6. September sind alles andere als „normale“ Sternzeichen: „prometheus dis.order“ ist wahrscheinlich das umfangreichste Projekt der Tonhallen-Saison 2021/22 und ein Gesamtkunstwerk aus Musik, Tanz, Licht und Sprache. Die spektakuläre Inszenierung sollte ursprünglich im Dezember 2020 Premiere feiern und ist eine Kooperation mit dem Ballett am Rhein Düsseldorf/Duisburg, Teil des Jubiläumsprogramms „Bthvn2020“ und ein besonders glanzvoller Beitrag zum Beethoven-Jahr, in dem so viele geplante Projekte leider doch nicht realisiert werden konnten.
Alexandre Bloch dirigiert, Prometheus selbst wird von einer Tänzerin und zwei Tänzern des Balletts am Rhein verkörpert (Choreografie: Virginia Segarra Vidal), Nick und Clemens Prokop (TYE Shows) sind für die mediale Inszenierung zuständig. Die Düsseldorfer Symphoniker spielen Ludwig van Beethovens Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“.
Prometheus formte, so erzählt der Mythos, die ersten Menschen: fehlerhafte Vorserienmodelle. Beethovens Ballettmusik illustriert diese ungelenken Gehversuche. Das Werk wurde 1801 mit großem Erfolg uraufgeführt – und fristet doch, obwohl damals 28 weitere Aufführungen folgten, bis heute ein Schattendasein. Lediglich die Ouvertüre ist in Konzerten regelmäßig zu hören. Die Gründe liegen auf der Hand: Die Story ist undramatisch, die musikalische Dramaturgie kurzatmig und kaum tanzaffin. Bedauerlich ist indes, dass Beethovens regelrecht experimentelle Musik, die tief in die Werkstatt des Komponisten blicken lässt, so unbekannt geblieben ist. Und dass es Beethoven nicht gelungen ist, dem Prometheus-Mythos die szenisch-musikalische Kraft zuwachsen zu lassen, die dieser so starke Stoff verdient. In der Inszenierung von Nick und Clemens Prokop wird der eigentliche Grund für das Scheitern offensichtlich. Und Beethovens Musik bekommt eine neue Dimension als Achterbahnfahrt durch eine Welt in Unordnung:
„prometheus dis.order“ rückt den Titan Prometheus ins Zentrum und legt ihn sozusagen „auf die Couch“. Die Hauptfigur schwankt zwischen Euphorie und Depression. Diese Zerrissenheit und dieses Schwanken wird zum Kern der Inszenierung: Prometheus als bipolarer Charakter. Impuls für diesen Ansatz war eine bipolare Erkrankung im persönlichen Umfeld der Prokop-Brüder. Clemens Prokop hat assoziative Texte über die psychische Krankheit verfasst, die in „prometheus dis.order“ ebenfalls eine Rolle spielen.
„prometheus dis.order“ stellt Beethovens Musik in einen komplett neuen Erfahrungsraum. Für die Inszenierung im kuppelförmigen Saal der Tonhalle entwickeln die Brüder Nick und Clemens Prokop eine Bühnenskulptur, die unterschiedliche Facetten von Licht kombiniert und kontrastiert: Eine Hightech-Kulissenvignette und eine Gazewolke sind Projektionsflächen, die von dynamischen 3D-Effekten bespielt werden.
Eine Tänzerin und zwei Tänzer des Balletts am Rhein verkörpern Prometheus’ gespaltenes, zwischen Menschenliebe, Größenwahn und Destruktion changierendes Wesen. Mit minimalistischen Bewegungen unterbrechen sie die Motorik der kurzen Sätze der Ballettmusik und triggern zugleich die 3D-Effekte, die sich als dynamisch leuchtende Aura um sie legen.
Mit dem Tanz eng verbunden ist eine weitere Schicht der Inszenierung: Zwischen die Sätze werden gesprochene Texte (Sprecher: Stefan Wilkening) und musikalische Interferenzen interpoliert, die als präzise Sound-Collagen Sinn auch dort erzeugen, wo die Satzfolge in der Partitur dramaturgisch unmotiviert erscheint. So tragen sie dazu bei, die Prometheus-Geschichte zusammen mit Beethoven aktuell und glaubwürdig zu erzählen.
Karten kosten 59 bis 19 Euro, 50 % Ermäßigung für Auszubildende und Studierende, Schülerinnen und Schüler 7 Euro.