Vision String Quartet

»Ein bisschen wie Popstars«

Das Vision String Quartet ist eines der spannendsten Streichquartette der Gegenwart und Artist in Residence der Tonhalle der Saison 2025/26. Die vier Ausnahmemusiker wandeln zwischen dem klassischen Streichquartett-Repertoire und eigenen Kompositionen und geben der Musikwelt neue Impulse.

Der Name ist Programm: Das Vision String Quartet tut alles dafür, das ehrwürdige Format »Streichquartett« in eine aufregende Zukunft zu führen. Seit 2012 sprüht es Funken – mit seinen Programmen und seiner Performance. Der Erfolg gibt der Formation recht: Mittlerweile sind die vier, die sich auch als Band verstehen, in den größten klassischen Konzertsälen zu Hause, spielen aber auch in Clubs und im Dunkeln. Sie stürzen sich mit gleicher Leidenschaft in die Meisterwerke des klassischen Repertoires wie in ihre eigenen, von Folk, Pop, Jazz und Minimal inspirierten Projekte. Ein Gespräch mit den Artists in Residence der Tonhalle Düsseldorf 2025/26.

Wenn über euch geschrieben oder gesprochen wird, taucht ein Narrativ immer wieder auf, und zwar schon seit Jahren: Das Vision String Quartet sei ein junges, aufstrebendes Streichquartett. Wie lange ist man als Ensemble eigentlich jung? Und wie lange aufstrebend? Empfindet ihr das als Kompliment? 

LEONARD DISSELHORST Wir versuchen immer jung zu bleiben. Auf jeden Fall im Kopf. 

DANIEL STOLL Aus Marketing-Perspektive werden einem immer zwei unterschiedliche Sachen geraten. Jung und aufstrebend kann ein guter Türöffner sein, es kann aber auch davon abhalten, in die Kreise der Großen reinzukommen. Nach zwölf Jahren auf der Bühne sind wir natürlich nicht mehr nur »jung« und können auf jahrelange Bühnenerfahrung zurückgreifen. Je nach Kontext wird von Veranstaltern bzw. unserem Management das eine oder das andere hervorgehoben. 

LEONARD DISSELHORST Ich glaube, wir versuchen auch, jung zu bleiben, in dem Sinne, dass wir immer etwas Neues ausprobieren und uns nicht auf Altbewährtem ausruhen. Wir schauen immer nach vorn und versuchen, progressive Konzertformate und auch eigene Musik zu spielen. Das ist, glaube ich, auch mit »jung« gemeint. Wir versuchen, den klassischen Musikmarkt, der ja in seinen Strukturen noch relativ starr ist, mit  unserem Image ein bisschen aufzubrechen, und dazu passt die Zuschreibung »jung« schon ganz gut. 

Ist sie nicht auch eine Belastung? Man steckt in einer Schublade mit mittlerweile vielen anderen Ensembles, die in eine ähnliche Richtung gehen. Wie kann man sich von der Konkurrenz hier abheben? Über die gängigen Marketing-Stanzen hinaus: Wer seid ihr? 

FLORIAN WILLEITNER Wir sind als Klangkörper innerhalb des Streichquartett-Kosmos einer der allerflexibelsten. Erstens, was die Sounds angeht, die wir aus den Instrumenten rausholen können, und zweitens, was das Repertoire und die Vielzahl und Diversität unserer Kollaborationspartner angeht. 

DANIEL STOLL Vor kurzem hat man über uns einmal geschrieben, wir seien das »Streichquartett der Zukunft«. Das fand ich eigentlich sehr passend. Auch wenn das dann doch wieder sehr nach Marketing klingt. 

LEONARD DISSELHORST Das war eine Beschreibung in der australischen Zeitung Sydney Morning Herald. Wir waren da auf Tour mit 13 Konzerten, die extrem gut beworben und medial begleitet wurden. Wie haben uns ein bisschen wie Popstars gefühlt.

Was habt ihr da gespielt? Auch die »Spectrum«-Programme, in denen ihr eigene, von Folk, Pop, Jazz, Funk und Minimal inspirierte Songs spielt? 

LEONARD DISSELHORST Nein, das waren Bartók und Dvořák! 

Ihr habt selbst einmal gesagt, eure Herangehensweise an Musik sei ähnlich wie die eines Popstars … 

DANIEL STOLL Als Kinder sind wir alle in Klassikkonzerten eingeschlafen – bei Popkonzerten, glaube ich, wird kein Kind einschlafen. Deswegen spielen wir auch klassische Musik im Stehen und ohne Noten, um nicht gleich so eine Barriere oder Kapsel um uns aufzubauen. Ein klassisches Konzert, in dem im Publikum kein Mucks sein darf und auch auf der Bühne nur so viel Bewegung, wie nötig ist, um das Instrument zu bedienen, kann schon eine Veranstaltung sein, die nicht viele Sinne berührt. 

FLORIAN WILLEITNER Wenn wir irgendwas mit Popstars gemeinsam haben, dann ist es eine gewisse Nahbarkeit zum Publikum und Live-Energie auf der Bühne. In Australien war es insofern besonders, als wir mit Dvořák und Bartóks 4. Quartett, das sogar in Europa eher vorsichtig angefasst wird, ein sehr ambitioniertes Programm hatten. Das war aber in sich sehr schlüssig, und wir haben es auswendig und im Stehen gespielt. Dadurch erreichten wir ein sehr hohes Energielevel auf der Bühne, das sich direkt auf das Publikum übertrug.

Vision String Quartet

Darf das Publikum denn in euren Konzerten aufstehen und bei den Bartók-Synkopen mit den Füßen mitswingen? 

DANIEL STOLL Ja, das traut es sich aber leider nicht. Natürlich sind auch wir bei den klassischen Konzerten darauf angewiesen, dass es relativ leise ist, das liegt in der Natur der Sache. Bei unseren eigenen Stücken machen wir das etwas anders, da wird der Sound ja auch leicht verstärkt. Wir versuchen einfach, eine Performance-Energie auf der Bühne aufzubauen, auch mit klassischer Musik, sodass der Funke auch hier auf diese Weise überspringt und auf der Bühne was zu sehen ist. 

Nun ist die Energie in der Welt des Pop ja nicht nur auf der Bühne, sondern auch bei allem drum herum. Der Starkult, der Fankult, die Bilder. Das ist bisweilen wichtiger als die Musik selbst. Wie viel Wert legt ihr auf die Verpackung, die einen Popstar auch ausmacht? 

FLORIAN WILLEITNER Es wäre auf jeden Fall ein Fehler, das ganze Drumherum zu vernachlässigen. Heute bekommt man ohne das überhaupt keine Visibility mehr. Wir wollen uns aber von diesem hippen »New Classic«-Bereich, bei dem es oft viel Verpackung, aber wenig Inhalt gibt, scharf abgrenzen. Wir legen Wert darauf, dass alles, was wir machen, also alle Musikstile, die wir bedienen, mit der gleichen Energie und Ernsthaftigkeit auf die Bühne kommt. Denn auf ganz andere Weise ist so manche Popmusik genauso schwer wie ein Dvořák oder Bartók. 

Eine schöne Brücke zu den Programmen, die ihr bei uns spielt, in denen immer wieder auch Pop-Nummern vorkommen. Florian, du bist sozusagen der »Hauskomponist« von Vision String. Ist das Komponieren für das Ensemble erwachsen durch die Arbeit mit dem Ensemble?

FLORIAN WILLEITNER Ich bin erst 2021 als Nachfolger von Jakob Encke zum Quartett dazugestoßen. Davor habe ich immer schon ca. 50 Prozent meiner Arbeitszeit in Ensembles gespielt und zu 50 Prozent komponiert. Ich schreibe auch für andere Ensembles, fast immer im Spannungsbereich von Klassik, Jazz und improvisierter Musik, je nach Kollaborationspartner. Für Vision String kamen dann früh einige Ideen von mir. Was mich immer wahnsinnig begeistert hat, ist die unfassbare Flexibilität meiner Kollegen. Sie haben eine ganz genuine und tiefe Fähigkeit, auch mit Künstlern wie etwa dem persischen Gitarristen Mahan Mirarab oder dem schwedischen Pianisten Joel Lyssarides eine perfekte Einheit zu finden. Es ist einfach toll, für so ein Ensemble schreiben zu können, das zu jeder Zeit in jede Richtung gehen kann und mit beiden Füßen sowohl in der Klassik als auch im Jazz und anderen nichtklassischen Stilen steht. 

Da gibt es doch sicher viele gegenseitige Befruchtungen der Genres untereinander. Anders gesagt: Spielt ihr Beethoven anders, weil ihr auch Jazz spielt und umgekehrt?

LEONHARD DISSELHORST Ja, ich glaube schon. Unsere Interpretationen der klassischen Werke sind schon anders als die von Musikern, die nur in der Klassik unterwegs sind. Wir haben so eine grundlegende Lässigkeit und einen speziellen Groove. Dieses Offbeat-Gefühl, das man aus der Groove-Musik kennt, kann einen auch für die Interpretation von Beethoven, Mozart, Mendelssohn oder Schubert beflügeln. 

DANIEL STOLL Schon auf unserem Debütalbum mit Schuberts »Der Tod und das Mädchen« und mit Mendelssohn kann man hören, dass wir auch Jazz und Pop spielen. Aber natürlich vermischen wir nicht die Stile. Es geht nicht darum, den Beethoven möglichst poppig zu spielen. Die Signatur unserer Interpretationen kann man vielleicht so beschreiben: Wir versuchen, eine andere Art von Frische in die Musik zu bringen, und wollen, dass die Musik so klingt, als sei sie gerade erst komponiert worden. 

Wie macht ihr das bei Proben: Stehen an einem Probentag alle Genres auf dem Plan?

LEONHARD DISSELHORST Nein, man muss das schon so trennen, wie wir das auch in den Konzerten meistens machen. Die Trennung hat auch einfach spieltechnische Gründe: Wenn man lange diese perkussiven Elemente gespielt hat, kann man erst mal keine ruhigen, langen, leisen Töne spielen. Wir haben allerdings auch schon mal im Konzert die Genres gemischt, zum Beispiel, als wir in einem englischen Club eine Stunde Programm mit Schostakowitschs 8. Streichquartett und einigen »Spectrum«-Songs gespielt haben

Vision String Quartet

Ist es für ein »Streichquartett der Zukunft« – und vielleicht für die klassische Musik insgesamt – nicht mittlerweile essenziell, neue Räume und damit auch neue Publika zu erschließen? Aus dem sprichwörtlichen Museum rauszukommen? 

LEONHARD DISSELHORST Das sollte man nicht gegeneinander ausspielen. Es gehört dazu, nicht zu ignorieren, dass es diese neuen Venues gibt, ich finde es aber genauso schön, ein rein klassisches Kammermusik-Konzert im Saal der Berliner Philharmonie zu hören. Wir sind offen für beides. 

DANIEL STOLL Junge Menschen interessieren sich eben nicht automatisch für Klassik. Wir erleben immer wieder, wenn wir bei nichtklassischen Veranstaltern in besonderen Räumen spielen, dass ein eigentlich klassikfremdes Publikum aus jüngeren Menschen hinkommt, das aber genauso berührt wird wie das traditionelle Klassikpublikum. 

Nehmt ihr dann auch in Kauf, dass es etwa keine gute Akustik gibt oder gelernte Usancen wie Applaus erst am Ende nicht eingehalten werden? 

DANIEL STOLL Dass man erst am Ende klatscht, ist eine Unart, die sich erst in den letzten 120 Jahren entwickelt hat. Zur Zeit der meisten Werke, die wir aufführen, war das noch nicht so. Es gibt einen Briefwechsel zwischen Beethoven und dem Primgeiger des Quartetts, das Beethovens op. 131 uraufgeführt hat. Da sollen alle sieben Sätze attacca gespielt werden. Beethoven hat bemerkt, dass es hier ausnahmsweise nicht geht, nach jedem Satz zu applaudieren. Damals hat man Sätze, die starken Applaus ernteten, direkt noch einmal gespielt. Es gab ja auch keine technische Reproduzierbarkeit. Außerdem war es gar nicht immer so, dass alle vier Sätze in einem Konzert am Stück gespielt wurden. Ich glaube, von den Leuten, vor denen wir in den »ungewöhnlichen« Locations spielen, gehen sicher auch manche mal in einen klassischen Konzertsaal, wo sie dann die üblichen Usancen erleben … 

Nähern wir uns langsam den Konzerten eurer Residency. Die Programme mit dem Titel »Spectrum« weisen euch als Autoren auf. Sind das Kollektiv-Entwicklungen? 

LEONHARD DISSELHORST Die meisten Ideen kamen von unserem ehemaligen ersten Geiger Jakob Encke, der allein neun der dreizehn Songs zu dem Album »Spectrum« von 2020 beigesteuert hat. Dann ist während der Corona-Pandemie viel entstanden – wir hatten viel Zeit und haben gemeinsam Ideen von Jakob ausgearbeitet. Das Schwierigste ist, aus den tausend Ideen einen Song zu erfinden, der eine klare Struktur hat. An Ideen mangelt es uns allen nicht. Wenn einer eine Idee hat, nehmen wir sie sofort als Sprachmemo auf. Die kommen ja nicht auf Knopfdruck, sondern vor allem dann, wenn man am wenigsten damit rechnet … Dann wird das in Teamarbeit mehr oder weniger aufs Papier gebracht – und einer muss es dann noch zu Ende bringen. 

Entsteht viel aus der Improvisation heraus? 

DANIEL STOLL Manches schon. Zum Beispiel bei Soundchecks: Da probiert man ganz frei irgendetwas aus und kommt in eine andere Kreativität rein. Schon wegen der Verstärkung klingt das Instrument ja nicht mehr »klassisch«. Wir jammen in solchen Situationen fünf Minuten vor uns hin, und dann ist es meistens Florian, der sein Handy rausholt und alles aufnimmt. Daraus entstehen zwar keine Songs, aber Ideen und Motive, die man später verwenden kann. 

In einem unsere Konzerte, in der Supernova im März 2026, spielt ihr Stücke aus eurem neuen »Spectrum«-Programm. Ist »Spectrum« so eine Art musikalische Visitenkarte? 

DANIEL STOLL Ja, das sind »Best of« der Jahre 2016 bis 2020. Das neue »Best of« 2020 bis 2025 wird auf einem zweiten Album rauskommen. Es ist eine künstlerische Weiterentwicklung der Idee, mit vier Instrumenten eine ganze Band zu sein.

Vision String Quartet auf einer Konzertbühne

LEONHARD DISSELHORST Hier hört man die Signature-Klangsprache, die wir entwickelt haben. Auch mit Effekten, die es in der Klassik so nicht gibt. Wir spielen ja verstärkt, und ich habe zum Beispiel einen Octaver, über den das Cello eine Oktave tiefer klingt als sonst, so wie ein Jazz-Bass. So hat man ein viel größeres Spektrum des Sounds an sich. Das soll das neue Album erweitern. 

In dem Konzert stößt der Jazzpianist Joel Lyssarides zu euch … 

FLORIAN WILLEITNER Joel ist ein Label-Kollege von mir, mit dem wir schon öfter gespielt haben. In den Programmen gibt es immer Stücke von ihm und von mir. Das Spezielle ist, dass sie sich teilweise auf klassische Stücke beziehen, die auch auf dem Programm stehen. Ich habe zum Beispiel ein Stück über den zweiten Satz von Ravels Streichquartett geschrieben, mit viel Raum für Improvisation. 

Im November habt ihr euren großen Auftritt mit den Düsseldorfer Symphonikern im Sternzeichen-Konzert. Da spielt ihr »Absolute Jest« von John Adams. Ist das Neuland für euch? 

DANIEL STOLL Ja, absolutes Neuland. Wir haben uns natürlich schon damit beschäftigt und finden, dass es sehr gut zu uns passt. Es hat eine unglaubliche Energie, da geht richtig die Post ab. 

Was ist die Idee des Stücks? »Jest« bedeutet »Geste« … 

FLORIAN WILLEITNER Das bezieht sich sehr auf die Kernmotivik des Stücks, den Beginn vom zweiten Satz aus Beethovens Neunter. Das ist wirklich eine musikalische Geste. Sie zieht sich durch das ganze Stück. Aber auch andere Motive Beethovens kommen vor, vor allem aus den Streichquartetten. Adams ist nah am Minimal, aber stilistisch ganz besonders. Das ist sehr amerikanisch, sehr symphonisch und hat auch viel vom Jazz. Eine ganz undogmatische Musik. Man merkt, woher und aus welcher Zeit er kommt. 

Im Mai wird es dann zum ersten Mal ganz klassisch: Zusammen mit dem Danish String Quartet spielt ihr Mendelssohns Oktett … 

DANIEL STOLL Das Danish String Quartet kennen wir schon lange, wir sind gut befreundet, standen aber erst im September 2025 bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern zum ersten Mal zusammen auf der Bühne. Das werden zwei Konzerte: ein klassisches, in dem wir in der ersten Hälfte zusammen spielen und in der zweiten jeweils allein, und ein Konzert, in dem wir einige »Spectrum«-Songs und das Danish String einige Folksongs in eigenen Bearbeitungen spielen. Zum Schluss machen wir dann einiges zusammen aus dieser musikalischen Welt. Das passt gut, weil auch unsere eigene Musik immer wieder Folk-Bezüge hat. Mal sehen, wie weit wir auch in Bezug auf Improvisation mit denen gehen können. 

Es folgt dann euer Auftritt in unserer Comedy-Reihe. Da spielt ihr einen Satz aus dem Konzert für Streichquartett und Orchester von Louis Spohr. Das ist fast ein Unikum, viele Stücke gibt es für diese Besetzung nicht. Ich stelle sie mir auch schwierig vor, als Komponist und als Spieler: Besteht da nicht ständig die Gefahr, dass das Quartett im Sound der Tutti-Streicher verschwindet?

FLORIAN WILLEITNER Absolut. Das ist wirklich ein Problem – und für mich besonders interessant, weil ich gerade selbst ein Stück für Streichquartett und Orchester schreibe, das wir im letzten Konzert unserer Residence dann auch hören werden. Die große Herausforderung ist, die beiden Klangkörper Soloquartett und Tutti-Streicher voneinander abzugrenzen. Ich habe für mich ein paar Grundsatzentscheidungen getroffen. Die eine ist, dass ich das Orchester als »Reversed Symphony Orchestra« behandle. Das bedeutet, dass die Sitzordnung komplett umgekehrt ist: Vor dem Dirigenten kommen erst wir als Solisten, dann dahinter direkt die Bläser, in der Reihe dahinter Schlagzeug und Harfe und erst ganz hinten die Streicher. So sind die beiden Streichergruppen schon einmal räumlich getrennt. Die zweite Maßnahme ist, dass ich die Tutti-Streicher an den Stellen, an denen die Musik richtig groovig wird, konsequent nicht verwende. Aus dem rhythmischen Geschehen sind sie komplett draußen. Das mache ich aufgrund meiner Erfahrungen mit zwei Violinkonzerten, die ich geschrieben habe. Das dritte ist, dass ich bei einigen Stellen das Streichquartett wie ein einziges vierstimmiges Instrument behandle. Die Solopartie ist – gerade an den Stellen, bei denen sich das Quartett klanglich gegen das Orchester durchsetzen muss – sehr homophon angelegt: Der Solist spricht mit vier Stimmen. 

Das klingt sehr überzeugend. Wie hat denn Spohr das Problem gelöst? 

DANIEL STOLL Ganz ehrlich: Er hat es nicht gelöst. Es ist in seinem Konzert extrem schwierig, einen spannenden solistischen Klangkörper herauszuarbeiten.

Vision String Quartet bei der Saison-PK der Tonhalle 25_26

Dann ist die große interpretatorische Herausforderung für euch und den Dirigenten, die richtigen Klangfenster aufzumachen. 

DANIEL STOLL Genau. Die nehmen wir auch gerne an, denn: Bei allen genannten Schwierigkeiten – es ist auf jeden Fall toll, dass Spohr sich getraut hat, ein Konzert für Streichquartett und Orchester zu schreiben. 

In eurem Konzert mit unserem Jugendorchester im Juni 2026 werden wir dann erleben, wie diese heikle Kombination dann bei dir klingt … Dieses Konzert ist für alle Seiten besonders spannend. Denn ihr werdet euch bei den Stücken, in denen ihr nicht solistisch spielt, an die ersten Pulte im Orchester setzen – da müsst ihr das solistische Spiel dann bitte komplett runterfahren … Was für Projekte habt ihr bisher schon im Education-Bereich gemacht? 

FLORIAN WILLEITNER Wir haben sowohl an Schulen als auch an Universitäten einiges an Workshops und Masterclasses gemacht. Gerade weil unser jugendliches Image auch bei Jugendlichen gut ankommt, und weil es uns auch ein großes Anliegen ist, unser Musikerformat jungen Leuten näherzubringen, machen wir das auch sehr gerne. 

Seid ihr ein gutes Gegenmittel gegen den rasanten Rückgang der musikalischen Grundbildung im Kindes- und Jugendalter?

DANIEL STOLL Ich glaube, wir tragen immerhin dazu bei, dass Jugendliche einen natürlichen Zugang zu Streichinstrumenten bekommen. Wir zeigen, dass wir ganz normale junge Menschen sind und mit all unserem Herzblut klassische Musik machen. 

Ihr seid unglaublich vielseitig und flexibel. Gibt es etwas, was ihr auf keinen Fall machen würdet? 

FLORIAN WILLEITNER Solche Sachen, in denen in fremden Gewässern gefischt wird, um maximalen kommerziellen Erfolg zu haben. Nun machen wir auch immer wieder mal Konzerte mit Stücken, in denen auch Fremdes verwendet wird – wie bei euch mit dem Jazzpianisten Joel Lyssarides. Aber so etwas kann von der Massentauglichkeit her bei Weitem nicht mithalten, und trotzdem wird es möglicherweise über einen Kamm geschert. Das kann dann schon ein Problem werden. 

DANIEL STOLL Da wir neben der klassischen Musik eben auch andere Sachen machen, ist immer die Gefahr, dass einige konservative Hörer*innen und auch Künstler*innen uns das Ernsthafte absprechen. So nach dem Muster: »Ah, das Vision String Quartet. Die machen ja auch Pop. Die möchte ich jetzt aber nicht auch noch Brahms spielen hören.« Darum sind wir sehr darauf bedacht, dass alles, was wir machen, ein ernstes künstlerisches Niveau hat. Auch wenn wir als Menschen und in unserer Performance viel Humor haben. Es darf aber nie oberflächlich sein. 

Da ist die Residency in der Tonhalle mit der Mischung von Programmen ja die perfekte Chance, zu zeigen, dass ihr alles könnt! Wir freuen uns drauf!

VISION STRING  QUARTET 
Florian Willeitner VIOLINE 
Daniel Stoll VIOLINE 
Sander Stuart VIOLA 
Leonhard Disselhorst VIOLONCELLO

Unsere Konzerte mit dem Vision String Quartet: 

Die Residency des Vision String Quartet wird gefördert durch die Freunde und Förderer der Tonhalle Düsseldorf.

Fotos: Harald Hoffmann (Titel, 1, 2), Sander Stuart (3), Susanne Diesner (4)