Alpesh Chauhan

Principal Guest Conductor Alpesh Chauhan

Seine ersten Konzerte ließen aufhorchen, nun darf man sich auf eine  spannende Fortsetzung der Zusammenarbeit  freuen: Der  31-jährige Alpesh  Chauhan  wird ab der Saison  2021 | 2022  Principal Guest Conductor der Düsseldorfer Symphoniker. Der gebürtige Brite beerbt damit Alexandre Bloch, der diese Position fünf  Jahre  lang  innehatte. Ein Gespräch mit Chauhan über seine  Arbeit mit dem Orchester, seine Pläne für Düsseldorf und darüber,  was der Orient-Express mit Bruckner und Schostakowitsch zu tun hat. 

Herr Chauhan, Sie haben bereits einige Konzerte mit dem Orchester dirigiert und dürfen sich von nun an »Principal Guest Conductor« der Düsseldorfer Symphoniker nennen.  Wie würden Sie Ihre Erfahrungen mit  dem Orchester und Ihr  Verhältnis zueinander beschreiben?

ALPESH CHAUHAN  Die Beziehung zwischen mir und den Düsseldorfer Symphonikern hat sich in den letzten Jahren sehr schön entwickelt. Wir haben im April 2018 mit Bruckners 4. Symphonie begonnen, also mit einem Konzert, in dem vier der wichtigsten Holzbläser des Orchesters die Solopartien spielten. Das war ein besonderes Konzert für mich. Ich erinnere mich noch jetzt an dieses Gefühl der Verbundenheit, die wir bei Bruckner hatten. Das ging vom Raum und der Tiefe des Orchesterklangs bis hin zur Bereitschaft   der Musikerinnen und Musiker, auf mich einzugehen und eine wirklich besondere Aufführung dieser Mammut-Symphonie meines Lieblingskomponisten zu gestalten. Seitdem haben wir ein sehr vielfältiges Repertoire gespielt, und ich habe all diese verschiedenen Konzerte sehr genossen.

„»Die Fähigkeiten, die durch das Spielen eines Instruments erworben und verbessert werden können, sollten niemals so einfach geopfert werden.«“

OTON  Corona hat fast alles in unserem privaten, aber auch in unserem beruflichen Leben verändert. Und nicht zuletzt hat es die musikalische Ausbildung von Kindern mehr oder weniger zum Erliegen gebracht.  Was denken Sie über die Folgen dieser »musikalischen Abriegelung«, vor allem für die jüngeren Generationen?

CHAUHAN  Es ist sehr beängstigend, denn schon vor Covid-19 litten unsere jüngeren Generationen unter der sinkenden Finanzierung und dem eingeschränkten Zugang zu Musik und Lerninstrumenten. Jetzt gibt Covid-19 den Verantwortlichen den Anstoß, weiter zu kürzen. Musik ist so wichtig für junge Menschen. Ich lese Ihnen mal einen Auszug aus einem Artikel vor, den ich für das »Music Teacher Magazine« in Großbritannien geschrieben habe: »Es gibt zahllose erwiesene Gründe, Kinder jeden Alters zum Spielen eines Musikinstruments zu ermutigen, und diese Fähigkeiten scheinen auf höchster Regierungsebene wie in den Stadtverwaltungen vergessen worden  zu sein, weil man versucht den Haushalt auszugleichen. Die Fähigkeiten, die durch das Spielen eines Instruments erworben und verbessert werden können, sollten niemals so einfach geopfert werden. Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl können wachsen, Geduld und Ausdauer werden entwickelt, indem man sich mit Disziplin und Motivation auf das Erreichen musikalischer und technischer Ziele konzentriert. Musik – wie auch alle anderen Künste – ermöglicht Kindern, ihre Ausdrucksfähigkeit zu verbessern. Und sie stärkt das Selbstvertrauen, sich überhaupt auszudrücken. Verschiedene motorische und koordinative Fähigkeiten profi tieren ebenfalls vom Spielen eines Instruments, während das notwendige Lernen auch das Gedächtnis und die Lesefähigkeit fördert. Wenn man in einem Ensemble spielt – was der Birmingham Music Service von den frühesten Stadien des Spielens eines Instruments an fördert –, gibt es eine Menge anderer Fähigkeiten, die natürlich auch in den Vordergrund treten: Teamwork und Kooperation, Kompromisse, persönliche Verantwortung als Teil einer Gruppe und soziale Interaktion.«

Können Sie uns etwas über Ihre Herangehensweise an ein Stück erzählen, das Sie noch nie zuvor aufgeführt haben? Beschäftigen Sie sich intensiv mit der Zeit, in der es entstanden ist? Haben Sie einen »Plan« für Ihre persönliche Interpretation?  Wie viel Raum geben Sie sich und dem Orchester, um das Stück während der Proben zu entwickeln?

CHAUHAN  Wenn ich ein neues Stück  lerne,  höre ich es mir – wenn es eine Aufnahme gibt – zunächst einmal mit der Partitur an. Dann lege ich die Partitur weg und höre mir manchmal beim Spazierengehen oder Entspannen verschiedene Aufnahmen an, um verschiedene Versionen kennenzulernen und die Musik auf unterschiedliche Weise zu hören.  Dann lege ich die Aufnahmen für eine lange Zeit weg und arbeite nur noch mit der Partitur, bilde meine eigene Interpretation, schreibe viel in die Noten und markiere viele Dinge – Hauptlinien, Phrasierungen, Taktwechsel, Farben, zu erreichende Charaktere usw. Dann gehe ich in die Proben. Ich kann mir keine Aufnahmen anhören, während ich ein Stück studiere, und schon gar nicht in den Tagen, in denen ich mit dem Orchester probe, da ich nicht von den Interpretationen anderer beeinflusst werden möchte. Deshalb höre ich mir gerne frühzeitig verschiedene Versionen an und lasse sie dann liegen.

Welche Werke  wollten Sie schon immer mal aufführen, hatten aber bisher nie die Gelegenheit dazu?

CHAUHAN  Ich liebe Bruckner und Schostakowitsch, deshalb arbeite ich mich Jahr für Jahr durch das symphonische Werk von beiden! Ich wollte schon so lange einmal die »Leningrader« spielen und bin froh, dass wir das jetzt in Düsseldorf realisieren werden. Schostakowitschs Symphonien sind für mich so menschlich – sie fassen die Gefühle eines Volkes und Landes zusammen, das die schwierigsten und kompliziertesten Zeiten durchlebt. Schostakowitschs Symphonien von der 1. bis zur 15. anzuhören ist wie eine Geschichtsstunde. Man erfährt von historischen Ereignissen, die in der Musik dargestellt werden, aber nimmt auch wahr, was Schostakowitsch in verschiedenen Momenten der russischen Geschichte gefühlt hat. Bei Bruckner geht es für mich um große Strukturen: etwas Massives aufzubauen, aber Stein für Stein. Es gibt für einen Dirigenten so viel bei Bruckner zu tun – oft   ist es am Ende so langweilig –, und der Dirigent muss wirklich hart arbeiten, um die Linie und die Reise vom Anfang bis zum Ende zum Laufen zu bringen. Mein Vater, der kein Musiker ist, kam vor ein paar Jahren nach Birmingham, um zu sehen, wie ich Bruckners Dritte dirigierte. Nach dem Konzert verglich er spontan den Beginn der Symphonie mit der Reise des Orient-Express, der durch viele verschiedene Orte und Klimazonen, durch ganz verschiedene Welten fährt, aber nie anhält, der sich immer windet und dreht und seinem Weg folgt, um an sein Ziel zu gelangen. Das ist für mich die perfekte Interpretation einer Bruckner Symphonie oder einer gewaltigen Schostakowitsch Symphonie wie der »Leningrader«.

Sie wurden in Birmingham geboren, aber der Hintergrund Ihrer Familie ist multinational mit  Wurzeln in  Afrika und Indien.  Wie sind Sie zur klassischen Musik gekommen?

CHAUHAN  Ich sah einen Musiklehrer in einer Schulversammlung Cello spielen und beschloss noch am selben Tag, dass ich dieses Instrument auch spielen wollte. Ich nahm an diesem Tag ein Cello mit nach Hause, und zum Glück unterstützten mich meine Eltern zu hundert Prozent, da sie sahen, wie begeistert und interessiert ich war. Das ist nicht überall in der indischen Gemeinschaft   so, also hatte ich wirklich Glück, dass meine Eltern off en waren und diese Leidenschaft   so unterstützt haben. Ich liebte es, in Ensembles zu spielen – Kammermusik, aber vor allem Orchestermusik –, und so kam es schließlich, dass ich über ein Leben als Dirigent nachdachte.

Was sind Ihre Leidenschaft en neben der Musik? Ich habe etwas vom Kochen gehört ...

CHAUHAN  Ich liebe das Kochen – italienische und indische Gerichte sind meine Spezialität!

Herr Chauhan, vielen Dank für das Gespräch und herzlich willkommen als Principal Guest Conductor!