Die Ekstase beginnt ganz und gar nicht verzückend. Als der Begriff erstmals einige Jahrhunderte vor Christus in den hippokratischen Schriften auftaucht, bezeichnet er eine Fehlstellung des Hüftgelenks: »ekstasis« – griechisch für »Außerhalb-des-Selbst-Stehen«, für verschoben, entrückt, »ver-rückt« sein. Doch der Assoziationsraum für das »Aus-sich-Heraustreten« erweist sich als zu weit und faszinierend, um ihn der Orthopädie zu überlassen. Über die Philosophen der Antike gelangt er ins Metaphysische. Gut zweitausend Jahre später hat das Wort universelle Größe erreicht: »Schöpferischer Drang bringt uns ins Gebiet der Ekstase – außerhalb von Raum und Zeit. Ekstase ist die höchste Steigerung der Tätigkeit, Ekstase ist der Gipfel. In der Form des Denkens ist Ekstase – höchste Synthese. In der Form des Fühlens ist Ekstase – höchste Wonne. In der Form des Raumes ist Ekstase – höchste Entfaltung und Vernichtung.«
Wenig überraschend war es Alexander Skrjabin, der selbst ekstatisch diese schlagwortüberbordende Definition von »Ekstase« lieferte, konkret: in seinem Tagebuch aus den Jahren 1904/1905, also ungefähr in der Zeit, in der Skrjabin mit der Dichtung und Komposition seines »Poème de l'Extase« begann. Gigantomanische Allmachtsfantasien und klangorgiastische Exzesse – darunter ging es nicht für den narzisstischen Künstler, der sich selbst mindestens als Messias sah. Im Moment höchster Kreativität ergriff ihn ein Gefühl gottgleicher Allmacht: »Ich ewig leuchtender Augenblick, ich Bejahung, ich Ekstase...« Sollte er der ihm nachgesagten Synästhesie entsprechend tatsächlich musikalische Klänge als intensive Farbmuster wahrgenommen haben, erlebte er immerhin Musik auf einer zusätzlichen Bewusstseinsebene. Die Komposition des »Poème«, nach Skrjabins Vorstellung durch verschiedene Farben changierend und endend in kirschrot, kommt einem psychedelischen Trip gleich. Henry Miller beschrieb seinen Eindruck von der Musik als »Eisbad, Kokain und Regenbögen«. Wäre es damals schon populär gewesen, hätte Miller ein noch treffenderes Rauschmittel für seinen Vergleich wählen können: Ecstasy.
Der Weg vom medizinischen Fachterminus zum Namensgeber der synthetischen Partydroge Nummer Eins des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist eine bemerkenswerte Erfolgsstory in zweieinhalb Jahrtausenden, wie sie erst kürzlich von Racha Kirakosian in ihrem im Frühjahr 2025 erschienenen Buch »Berauscht der Sinne entraubt. Eine Geschichte der Ekstase« nachgezeichnet wurde. Darin wird zunächst konstatiert, dass sich der Begriff Ekstase seinem »nicht nachprüfbaren« Charakter entsprechend einer einheitlichen Definition entzieht. Er reiche von überwältigender Freude bis zu einem religiösen Zustand der Selbst- oder Gottestranszendenz und wird mit Motiven wie Entrückung, Erhöhung sowie einer Überwindung, einem Losgelöst-Sein des Körpers verbunden. Kategorien wie Traum, Vision und Bewusstseinserweiterung gehen mit dem Ekstaseempfinden einher. Damit steht Ekstase spätestens seit der Aufklärung im Gegensatz zur Vernunft und wird als spiritistisch und krankhaft wahnsinnig interpretiert. In der antiken Vorstellung sowie der hebräischen Bibel waren ekstatische Zustände hingegen als Weg zur Erkenntnis einer höheren Wahrheit und einer direkten Verbindung zu Gott anerkannt: »In der Antike galten ekstatische Momente als Ereignisse, in denen der Mensch mit dem Göttlichen in Kontakt tritt«, schreibt Kirakosian. »Die vorherrschende Vorstellung war dabei, dass besonderes und wichtiges Wissen auf diese Weise zum Menschen vordringen kann. Für das Verständnis von Ekstase bedeutete das, dass sie als Mittel der Transgression der menschlichen Existenz angesehen wurde und als eine besondere Auszeichnung durch die Götter galt.« Im Kult um Dionysos etwa huldigten die Backchen in wilden Tänzen, mit Schlangen auf dem Kopf ihrem Gott, und das Orakel von Delphi tat durch den Mund der Priesterin Pythia scheinbar kryptisch verschlüsselte göttliche Weissagungen kund – nach heutiger Ansicht die Folge ethylenhaltiger Gase, die aus der Erdspalte aufstiegen, über der die Pythia auf ihrem dreibeinigen Stuhl saß und durch die sie in einen ekstatischen Zustand versetzt wurde. Platon beschreibt in »Phaedrus« einen positiven Wahnsinn als göttliche Gabe und bringt auch die Dichter in die Nähe von Besessenheit, die in Bewusstlosigkeit mit wahrsagerischen Sprüchen über sich hinausgehen. Augustinus setzt Platons Ansatz fort und deutet ihn christlich im Sinne einer religiösen Ekstase, einem Moment der inneren Erhebung der Seele über sich hinaus, in ihrer dauernden Sehnsucht nach Gott. Einen weiteren interessanten Aspekt bringt Apostel Paulus ein, für den seine Wandlung von Saulus mit einer grell blendenden Lichterscheinung einhergeht: Im Nicht-Sehen, Nicht-Wissen offenbart sich ihm Gott als höhere Wahrheit. Der ekstatische Zustand ist also auch eine Fokussierung des Denkens und Erlebens. Während sich der Wahrnehmungshorizont verengt, schärfen sich Einzelheiten wie in einem Zoom, beobachtet der Musiksoziologe Christian Kaden. Wer in Ekstase ist, hat das Gefühl, sich auf einer intensiveren Ebene neu zu erkennen und einen Grad höchster Erfüllung erreicht zu haben. Ein Gefühl, das dem Rausch des Verliebtseins nahekommt. Robert Musil setzt in seinem Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« die Trias aus Liebe – Schöpfertum – Ekstase kühn und provokant in Zusammenhang, indem er den Protagonisten Ulrich in sein Tagebuch notieren lässt: »Ist Liebe ein Gefühl? Ich glaube nein. Liebe ist eine Ekstase. Und Gott selbst müßte sich, um die Welt dauernd lieben zu können, und mit der Liebe des Gott-Künstlers auch das schon Geschehene zu umfassen, dauernd in Ekstase befinden. Nur als ein solcher wäre er zu denken –.« Gott als Ekstatiker und die Ekstase als bestimmendes Wesen der Liebe?
Die Musik von Peter Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre »Romeo und Julia« jedenfalls zeigt vordergründig keine ekstatischen Züge. Der Komponist schreibt dem wohl bekanntesten Liebespaar der (westlichen) Welt ein Motiv zu, das klar strömend einem melodischen Fluss folgt. Nicht exaltiert, sondern geordnet schreitet es Räume aus und weitet sie mit großen Intervallsprüngen. Und doch gibt es eine fast unmerkliche Verschiebung, eine Entrückung: In der Hinführung auf den ersten großen Einsatz des Liebesthemas schreibt Tschaikowsky einen wiegend-wiegenliedähnlichen Gestus in die Violinen, der meist auf die kindlichen Seelen der beiden noch sehr jungen Verliebten bezogen wird. Diese Passage ist jedoch innerhalb des Taktgefüges verschoben, was zu einer fast unmerklichen Verrückung und Irritation führt. Einen ähnlichen Effekt stellt Christian Kaden in seinem Essay »Klang als Brücke zwischen den Welten. Musik und Trance, Musik und Ekstase« in Robert Schumanns Stück »Fast zu ernst« aus den »Kinderszenen« fest: »Es entstehen Kippfiguren, doppeldeutige Gestalten, die eine fixierte Wahrnehmung nicht befördern, sondern aus der Spur werfen.« Hierin erkennt Kaden eine Trance- bzw. Ekstasetechnik, wie er sie in non-europäischen Kulturen eingehend studiert hat. Und Schumann selbst bekannte gegenüber seiner Frau Clara 1839, er habe seine originellsten Werke in einer »Traumwelt am Clavier« geschaffen.
Tschaikowsky hat Schumann sehr verehrt. In Schumanns Musik, so Tschaikowsky, »finden wir den Widerhall jener geheimnisvoll tiefen Prozesse unseres Seelenlebens, jener Zweifel, Depression und Aufblicke zum Ideal, die das Herz des heutigen Menschen bewegen.« Ohne Weiteres lassen sich diese Einschätzungen auf das Schaffen Tschaikowskys selbst übertragen.
Als Prokofjew 1917 seine »Symphonie classique« schrieb, waren die gesellschaftlichen und politischen Umstände kaum geschaffen für poetische Traumwelten oder liebestrunkene Entrückungen. Die orchestralen Materialschlachten, die nicht nur in Skrjabins Werken, sondern etwa auch bei Richard Strauss mit den großbesetzten symphonischen Dichtungen »Ein Heldenleben« (1898) und »Eine Alpensinfonie« (1915) tobten, haben in den Gemetzeln des Ersten Weltkriegs eine reale Entsprechung unvorstellbaren Ausmaßes gefunden. Die anschließenden großen Umwälzungen der Oktoberrevolution erlebte Prokofjew als im Grunde unpolitischer Mensch in Petrograd, dem früheren und heutigen St. Petersburg, am Rande mit und ist dort Zeuge von mehreren Straßenschießereien geworden. In dieser Zeit, die er überwiegend außerhalb der Stadt verlebte, verfiel er in einen Schaffensrausch, der angesichts des Ideenreichtums und der Vielfalt der Stilrichtungen durchaus als ekstatisch bezeichnet werden kann. Und auch hier geht die Ekstase mit einer sicher bewusst gewählten Flucht aus der Welt einher.
Es muss ja nicht gleich der kollektive Taumel in den Weltuntergang sein, den etwa Skrjabins Musik nach seiner Vorstellung erwecken soll. Doch die ekstatische Verzückung des Publikums schwebt wohl so manchem Komponisten während des Schaffensprozesses vor. Und das Publikum ist oft nur zu gern bereit, sich von der Musik mitreißen zu lassen. Als »ekstatisches, atemloses Miteinander« empfindet etwa die Musikpublizistin Sigrid Neef die Einleitung von Tschaikowskys erstem Klavierkonzert, die sie so beschreibt: »... die Kombattanten, Solist und Orchester, fallen sich nicht vornehm ins Wort, fechten nicht graziös miteinander, sondern preschen voran, umschlingen sich, geraten immer enger ins Gemenge.« Bald nach der Uraufführung schwärmte Nadeshda von Meck über das Klavierspiel von Nikolaj Rubinstein, es erwecke das berauschende, erhebende Gefühl, »nicht nur die ganze Welt, sondern auch die eigenen Mängel [zu vergessen]«. Das Publikum entschwebt auf den Klängen in andere Bewusstseinssphären, während der Interpret höchste Konzentration und Fokussierung benötigt, um nicht über die fingerbrecherischen Achtel- und Sechzehntelläufe in diesem Konzert zu stolpern – eine weitere Facette der Ambivalenz von Ekstase. Erst wenn der Schlussakkord ausgeklungen ist, der Dirigent die sekundenlang gehaltene Stille auflöst und sich die Spannung im Saal in begeisterten Applaus entlädt, darf sich auch der Solist ekstatischer Freude hingeben.