31. Oktober / 01. / 02. November 2025
Düsseldorfer Symphoniker
Elena Perroni Sopran
Paul O'Neill Tenor
Yngve Søberg Bariton
WDR Rundfunkchor
Timo Nourianne Einstudierung
Chor des Städtischen Musikvereins
Dennis Hansel-Dinar Einstudierung
Jugendchor der Clara-Schumann-Musikschule
Justine Wanat Einstudierung
Asher Fisch Dirigent
FR 31. Oktober 2025 19:00 Uhr
Star Talk mit Asher Fisch und Uwe Sommer-Sorgente
SO 02. November 2025 13:30 Uhr
Jazz Brunch mit Winni Slütters
MO 03. November 2025 19:00 Uhr
Star Talk mit Asher Fisch und Maja Plüddemann
Benjamin Britten (1913-1976)
War Requiem op. 66
Texte aus der »Missa pro defunctis« und aus Gedichten von Wilfred Owen. In englischer und lateinischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Requiem aeternam
Requiem aeternam (Chor)
»What passing bells« (Tenor)
Kyrie eleison (Chor)
Dies irae
Dies irae (Chor)
»Bugles sang« (Bariton)
Liber scriptus (Sopran, Chor)
»Out there, we walked ...« (Tenor, Bariton)
Recordare (Frauenchor)
Confutatis (Männerchor)
»Be slowly lifted up« (Bariton)
Reprise of Dies irae (Chor)
Lacrimosa (Sopran, Chor) / »Move him« (Tenor)
Pie Jesu Domine (Chor)
Offertorium
Domine Jesu Christe (Jugendchor)
Sed signifer sanctus (Chor)
Quam olim Abrahae (Chor)
»So Abram rose« (Tenor, Bariton)
Hostias et preces tibi (Jugendchor)
Quam olim Abrahae Reprise (Chor)
Sanctus
Sanctus / Benedictus (Sopran, Chor)
»After the blast of lightning« (Bariton)
Agnus Dei
»One ever hangs« / Agnus Dei (Tenor, Chor)
Libera me
Libera me (Orgel, Sopran, Chor)
»It seemed that out of battle« (Tenor, Bariton)
In paradisum – Requiem Aeternam – Requiescant
in Pace (tutti)
ca. 90 Minuten, zuletzt gespielt am 02.06.1995 unter Joachim Vogelsänger
Britten
War Requiem
Die Uraufführung von Benjamin Brittens »War Requiem« fand am 30. Mai 1962 in der neugebauten Kathedrale von Coventry statt. Der Bau war fünf Tage zuvor mit einem Festakt unter Beteiligung von Queen Elizabeth II. und des Erzbischofs von Canterbury eingeweiht worden. Wie kaum ein anderes Bauwerk steht die Kathedrale mit ihrem Nebeneinander von Ruine und Neubau für das Grauen, das die Nazis im 2. Weltkrieg über England gebracht hatten. In der Nacht vom 14. auf den 15. November 1940 fielen 500 Tonnen Sprengbomben auf die Industriestadt nahe Birmingham. 65.000 Häuser wurden zerstört, von St. Michael’s Cathedral blieben nur Teile der Fassade verschont. Der Angriff gilt als einer der ersten mit dem Ziel der Vernichtung der Zivilbevölkerung. Das an Zynismus kaum zu überbietende Wort »Coventrieren« fand Eingang in den Nazi-Jargon. Umgekehrt berichtete der Daily Telegraph im Oktober 1943: »Hamburg hat den Gegenwert von mindestens 60 Coventrys bekommen, Köln 17, Düsseldorf 12 und Essen 10.«
Für die Uraufführung hatte sich der leidenschaftliche Pazifist Benjamin Britten gewünscht, dass mit der Russin Galina Wischnewskaja, dem Briten Peter Pears und Dietrich Fischer-Dieskau drei Repräsentant*innen der ehemaligen Kriegsgegner die Solo-Partien singen sollten. Die über allem Grauen und aller Schuld stehende Idee der Versöhnung sollte gleichsam leibhaftig auf der Bühne erfahren und erlebt werden. Die Sopranistin erhielt von Russland allerdings kein Ausreisevisum, die Britin Heather Harper übernahm ihre Partie.
Britten setzte also alles daran, sein großes Anti-Kriegsstück so direkt und so gegenwartsrelevant wie möglich zu vermitteln. Er wollte die Grundidee des »War Requiem«, nämlich ein Werk von zeitloser Gültigkeit zu schreiben, das den Schrecken benennt und dennoch an die Versöhnung glaubt, auch in der Aufführung abbilden. Ein großer Appell an die Humanität.
Die Voraussetzung für das Gelingen dieser Vergegenwärtigung schuf er sich über die Verschränkung von zwei sehr unterschiedlichen Textebenen, die sich im Libretto begegnen: Hier der lateinische Messtext der »Missa pro Defunctis« (Messe für die Verstorbenen), dort expressive Gedichte des Engländers Wilfred Owen, eines Mannes, der mit nur 25 Jahren im November 1918 fast auf die Stunde genau eine Woche vor Waffenstillstand in Frankreich gefallen war und als der bedeutendste literarische Zeitzeuge des 1. Weltkriegs in der englischen Literatur gilt. Die Manuskripte seiner Gedichte waren, als sie aufgefunden wurden, noch vom Schlamm des Schützengrabens verschmutzt.
Den »öffentlichen« Text der Totenmesse hat Britten der Sopranistin, dem großen Chor und dem großen Orchester übertragen, während Owens Gedichte dem Tenor und dem Bariton vorbehalten sind, die von einem kleineren, deutlich flexibleren und mitten im großen Orchester platzierten Kammerorchester begleitet werden. Ein zweistimmiger, von der Orgel begleiteter Kinderchor klingt aus höheren Sphären wie unwirklich hinein. Im kontrastreichen Nebeneinander, in einigen Nummern aber auch in raffinierter Verschränkung, trifft das Alt-Ehrwürdige auf die moderne Dichtung, die den Gefallenen der verfeindeten Kriegsparteien eine bestürzende Stimme gibt. Sie reicht vom beißenden Sarkasmus über Appell und Mahnung bis zu tiefer Melancholie.
Aber erst durch Brittens Musik wird diese geniale Idee zum Ereignis. Brillant setzt der in allen Gattungen erfahrene Komponist sein großes Repertoire an Stilmitteln aus verschiedensten Zeiten ein. Dabei geht es ihm, trotz des immensen Chor- und Orchesterapparats, nie um klangliche Überwältigung: Transparenz ist auch in den vollstimmigsten Passagen oberstes Gebot. Die einzelnen Stimmen, die Menschen mit ihren Nöten und Hoffnungen, sollen im Mittelpunkt stehen, nicht die eine, vollmundig verkündete Wahrheit. Das macht diese Musik so zugänglich und glaubwürdig.
Drei Beispiele, die dafür einstehen wie Britten mit der mal scharfen, mal behutsamen, aber nicht weniger überraschenden Konfrontation verschiedener Texte und Stile die Traditionen der Gattung gleichsam aufreißt: Im einleitenden »Requiem« fährt der Tenor brüsk und dissonanzreich in das Gebet um ewige Ruhe, um mit größtem Sarkasmus zu fragen: »Welche Totenglocken läuten denen, die wie Vieh sterben?« Das anschließende »Kyrie« des Chores vermag kaum noch, die Stimme zu erheben.
Im »Offertorium« erklingt das »Quam olim Abrahae« zunächst traditionell als Chorfuge. Doch in einer großen, hochexpressiven Szene deuten der Bariton und der Tenor die Parabel von Abraham und Isaak brutal um: In Owens Lesart opfert Abraham nicht den Widder, wie der Engel ihm rät, sondern schlachtet seinen Sohn – und damit, so Owen, »die halbe Saat Europas, einen nach dem anderen«. So wie es im Krieg mit ganzen Generationen geschah.
Die ergreifendste Wendung aber nimmt das abschließende »Libera me«. Ein flehender Trauermarsch des Chores steigert sich zusammen mit dem Sopran und dem vollen Orchester zur allerverzweifeltsten Bitte, ja zum Schrei um Erlösung. Die Stimmen beruhigen sich wieder, und es beginnt ein elegischer Gesang, wie aus einem anderen Reich. Es ist die Vision eines gefallenen Soldaten. Er erinnert sich, wie er im Totenreich den ehemaligen Feind getroffen hat. »Hier ist kein Grund für Gram«, sagt er ihm. Doch der Bariton korrigiert ihn und verweist auf die »ungesagte Wahrheit, das Elend des Krieges, das Elend, das der Krieg hervorbringt«. »Entziehen wir uns dem Rückwärtsmarsch dieser Welt«, schlägt er vor. Da ist es zum ersten Mal, das »Wir« von zwei erbitterten Feinden. »Lass uns schlafen, mein Freund«, erwidert der andere. Und nun beginnt, in zartester Begleitung von Knabenchor und kleinem Orchester, ein inniges Schlaflied, das sich zum Hymnus steigert. Das Paradies scheint nahe. Doch im verstummenden »Requiescant in pace« kehren die (Toten-)Glockenklänge im Tritonusabstand zurück, die das Werk so düster-bedrohlich eröffneten.
Britten selbst hielt den Schluss des »War Requiem« für einen seiner besten kompositorischen Einfälle. Und man kann gut nachvollziehen, dass Dietrich Fischer-Dieskau in seinen Erinnerungen preisgab: »Die erste Aufführung schuf so dichte Atmosphäre, dass ich zum Schluss innerlich völlig aufgelöst war und nicht wusste, wo mein Gesicht verstecken.«