28. / 30. / Juni / 1. Juli 2024
Düsseldorfer Symphoniker
Axel Kober Dirigent
FR 28. Juni 2024 19:00 Uhr
Star Talk mit John Psathas und Axel Kober
SO 30. Juni 2024 13:30 Uhr
Jazz Brunch mit becker&band
MO 1. Juli 2024 19:00 Uhr
Star Talk mit Axel Kober, Detlef Grooß und Lea Brückner
Programm der Konzerte
John Psathas & Friends
Green Piece (UA)
bestehend aus folgenden Werken:
Sōmei Satōh (*1947) Circulation (zum Thema »Öffentliche Verkehrsmittel»)
Shiva Feshareki (*1987) Recurring (zum Thema »Ernährung«)
Aziza Sadikova (*1978) Heat Efficiency (zum Thema »Wärmeeffizienz«)
Eve de Castro Robinson (*1956) Furious Burials (zum Thema »Energieeffizienz«)
Gordon Hamilton (*1982) Upcycling (zum Thema »Abfall und Recycling«)
Juhi Bansal (*1975) Flash, Shimmer, Glow, Spark (zum Thema »Biodiversität«)
Kristjan Järvi (*1972) Ohm – Twilight (zum Thema »Energieerzeugung«)
Leila Adu-Gilmore Agua es Vida (zum Thema »Wasser«)
Enrico Chapela (*1974) Spinphony (zum Thema »Fahrradanreise«)
Adeline Wong (*1975) Verdure (zum Thema »CO2-Kompensation«)
Yuan-Chen Li (*1980) Digitally Made Possible (zum Thema »Digitalisierung«)
John Psathas (*1966) Next Planet
ca. 55 Minuten, Uraufführung, Auftragswerk der Tonhalle Düsseldorf
Pause
Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908)
SCHEHERAZADE. SYMPHONISCHE SUITE OP. 35
Solovioline: Franziska Früh
1. Das Meer und Sindbads Schiff (Largo e Maestoso – Allegro non troppo)
2. Die Geschichte vom Prinzen Kalender (Lento – Andantino – Allegro molto – Con moto)
3. Der junge Prinz und die junge Prinzessin (Andantino quasi allegretto – Pochissimo più mosso – Come prima –Pochissimo più animato)
4. Fest in Bagdad. Das Meer. Das Schiff zerschellt an einer Klippe unter einem bronzenen Reiter (Allegro molto – Vivo – Allegro non troppo maestoso)
ca. 48 Minuten, zuletzt gespielt am 07.09.1998 unter Salvador Mas Conde
Psathas & Friends
Green Piece (UA)
Es ist so verführerisch wie heikel: Komponistinnen und Komponisten tun sich zusammen, um gemeinsam ein Werk zu schreiben. Was für ein Fundus an Fantasie und Handwerk tut sich da auf! Und dazu noch der Gemeinschaftssinn! Andererseits: Wieviel »Ego« kann, soll und muss in solch ein Projekt? Wieviel Ich, wieviel Wir? Ist die Summe ein Gewinn für die Teile? – Die Chancen stehen in der Musik naturgemäß besser als etwa in der Literatur oder der Malerei. Ein Roman oder gar ein Gedicht in Gemeinschaftsproduktion … nahezu undenkbar. Ebenso ein Aquarell. Musikalische Werke haben den Vorteil, dass man die Grenzen und Verbindungen zwischen einzelnen Teilen unendlich vielfältig gestalten kann. Da kann so etwas wie kompositorische Diplomatie wirken.
Die – ziemlich überschaubare – Geschichte von Gemeinschaftskompositionen zeigt, wie unterschiedlich die finale Gestalt solcher Projekte sein kann. Und auch, dass es meistens irgendeinen äußeren Anlass gegeben hat, sich mehr oder weniger gemeinsam ans Werk zu setzen. Eine der bekanntesten kompositorischen Koproduktionen ist die »F-A-E-Sonate« für Violine und Klavier, zu der Robert Schumann zwei Sätze, Johannes Brahms und Albert Dietrich 1853 je einen Satz beisteuerten. Im Blick hatten sie alle: den Widmungsträger Joseph Joachim. In der (nie aufgeführten) »Messa per Rossini« erwiesen 13 italienische Komponisten 1868 in je einem Satz dem verstorbenen Meister die Ehre. Im »Requiem der Versöhnung« zum 50. Jahrestages des Kriegsendes (1995) waren es sogar 14. Pragmatischer war der Grund für die kollektive Arbeit an der Ballettmusik »Les Mariés de la Tour Eiffel«, die fünf Komponisten der legendären »Group des Six« 1921 gemeinsam schrieben: Es musste einfach schnell gehen. Rekordverdächtig sind die »Variationen über einen Walzer von Diabelli«, die dieser selbst 1824 unter dem Titel »50 Veränderungen der vorzüglichsten Tonsetzer und Virtuosen Wiens« in einem Sammelband veröffentlichte. Mit dabei unter anderen: Franz Xaver Mozart, Franz Schubert und der 11-jährige Franz Liszt. Ein Zyklus der fast nie zu hören ist, dafür aber jüngst rekomponiert wurde: 2023 schrieben 50 Komponistinnen aus 22 Ländern für ein Projekt des Staatstheater Braunschweig Variationen über jenes Walzerthema Diabellis.
Womit wir schon nah am »Green Piece« sind, das in diesem Konzert uraufgeführt wird. 11 Komponistinnen und Komponisten aus 11 Ländern haben für das Projekt »Green Monday« der Tonhalle kurze Stücke geschrieben, die sich mit jeweils einem Aspekt der Nachhaltigkeit beschäftigen. Jedes von ihnen wurde in einem der vergangenen »Sternzeichen«-Konzerte separat uraufgeführt. Das »Thema« des »Green Piece« ist also kein musikalisches, sondern ein inhaltliches, der Klimawandel. Die Folgen sind klar: Die 11 Stücke klingen alle komplett anders. Es gibt, abgesehen von der nahezu identischen Orchesterbesetzung, keine musikalischen Gemeinsamkeiten. Viele Komponistinnen und Komponistinnen haben Elemente aus den Musiktraditionen ihrer Heimat einfließen lassen. Ihr musikalischer Background ist mal mehr, mal weniger zu hören. Es gibt Minimal, Meditatives, Jazziges, Cineastisches, Experimentelles. Das ist genau so gewollt. Gustav Mahler hat einmal gesagt: »Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen«. Man hört das an den heterogenen Versatzstücken, die in seinen Werken bisweilen wie Fremdkörper irrlichtern. Nun ist die Welt heute eine andere, und Mahler selbst hat damals alles in Form gegossen. Aber auch das »Green Piece« ist eine Welt-Musik, und auch hier gibt es einen, der das Ganze in den Blick genommen und aus den Teilen ein Ganzes geformt hat: John Psathas. Der Neuseeländer hat selbst noch eine Miniatur hinzugefügt und für jeden Übergang von einem Stück in das nächste kurze Überleitungen komponiert. Sie alle sind Varianten der gleichen musikalischen Substanz: Zarte Klänge von Vibraphon, Percussion und Streichern, die sich aus dem pp entwickeln und nur selten zum mf oder f steigern. Die Töne d, f, g und h bilden eine Art harmonisches Zentrum, das in einigen Varianten chromatisch angereichert und in der letzten zu einem Cluster verdichtet wird. Ein zarter roter Faden, ein paar Sekunden des Innehaltens und der Orientierung.
Der Weg war bei diesem »Green Piece« ein großer Teil des Ziels. Auf ihn blickt man nun zurück und erlebt die einzelnen, sich nunmehr direkt bespiegelnden Mosaikstücke in neuem Licht.
Rimski-Korsakow
Scheherazade
In seiner Autobiographie legt Nikolai Rimski-Korsakow offen, welche Episoden und Bilder dieser Märchensammlung »Tausendundeine Nacht« seine kompositorische Fantasie angeregt haben: »Das Meer und Sindbads Schiff, die phantastische Erzählung des Prinzen Kalender, Prinz und Prinzessin, Festtage in Bagdad und das Schiff, das am Felsen mit dem ehernen Reiter zerschellt.«
Wie viele andere Komponisten von Werken der Programmusik war auch er bestrebt, die Inspirationsquellen seines Schaffens zu verbergen. Bei der Neuausgabe tilgte er die Satzüberschriften wieder. Übriggelassen hat er allein den Titel des Werkes, der dem Hörer nur noch kundgibt, es handle sich um »eine Erzählung im orientalischen Geschmack, in der eine bunte Folge märchenhafter Begebenheiten geschildert wird.« Aber er hat nicht verhindern können, dass die programmatischen Titel auch nach ihrer Streichung für alle Zeiten mitgedacht werden. Und dass sich immer wieder das Motiv der Erzählerin Scheherazade vernehmen lässt, fügt sich der Vorstellung, die wir von Tausendundeiner Nacht haben.
Rimski-Korsakow gehörte zum »Mächtigen Häuflein«, wie sich eine fünfköpfige Komponistengruppe nannte, die unter der Führung Balakirews dem in Russland übermächtigen europäischen Einfluss eine »östliche Musik« entgegensetzen wollte. Man missbilligte in diesem Kreis vor allem die Musik Tschaikowskys, dem man vorwarf, in der Art eines Kosmopoliten zu komponieren, statt das Erbe Michail Glinkas zu pflegen. Es ging ihnen dabei nicht nur um die Verwendung russischer Folklore, sondern auch - nach dem Vorbild von dessen Oper »Ruslan und Ludmilla« - um die Einbeziehung von orientalischem Kolorit. Dieses von allen Nationalromantikern des 19. Jahrhunderts her bekannte Suchen nach der eigenen Identität führte nicht nur zu den eigenen Ursprüngen zurück, sondern bedeutete auch, sich demonstrativ vom Komponieren vor allem deutsch-österreichischer, aber auch französischer Prägung abzugrenzen.
Dies mag Rimski-Korsakow dazu veranlasst haben, dem Verdacht, man könne in seiner »Scheherazade« den Einfluss Richard Wagners verspüren vorzubeugen: »Vergeblich suchen die Leute in meiner Musik Leitmotive, die notwendigerweise von einem dichterischen Gedanken nicht abtrennbar sind. Im Gegenteil, in den meisten Fällen sind alle diese scheinbaren Leitmotive nichts anderes als rein musikalisches Material oder die für die symphonische Durchführung bestimmten Motive, die alle Sätze der Suite durchdringen.« Und dennoch hat er die den beiden Hauptpersonen zugewiesenen Hauptmotive, das wuchtige Unisono-Motiv des Sultans und das von der Solovioline vorgetragene der Scheherazade, nicht nur um des motivischen Zusammenhangs willen die kompositorische Struktur tragen lassen, sondern sie durch die Handlung geführt, um an ihnen Personenschilderung vorzunehmen.
Wer wollte z. B. die Motivtransformation in der Coda rein immanent verstehen und nicht vernehmen, dass dem Motiv des Sultans – wie diesem selbst – aller Starrsinn genommen ist, so dass es nun besänftigt mit dem Motiv der Scheherazade, das jetzt im hellen E-Dur leuchtet, versöhnt ist?